STUDIO #4 : Gesellschaft singen

In der over-sized Kirche des letzten Jahrhunderts – mit dem säkularen Chor Großberlins

der ort hat geschichte: diese kirche ist ein relikt des preussischen berlins mitten im früheren arbeiterbezirk, der heute durch global finanzierte startups und hipsterströme aus aller welt zu einem der teuersten pflaster berlins geworden ist. wo die früheren arbeitsmigrant:innen nun altberliner:innen sind, die sich mit tourist:innen und neu-ankömmlingen aus dem globalen süden die straßen und parks teilen.

der bau dieser kirche war ein politisches statement am ende des 19. jahrhunderts: nachdem die sozialisten starke stimmzuwächse im proletarischen arbeitermilieu verbuchen konnten, errichteten kaisertreue obrigkeit und staatskirche gemeinsam ein bollwerk mitten im roten bezirk.

das kirchenschiff fasste 2500 gläubige, zur eröffnung 1893 sang noch der königliche domchor und der kaiser kam mit gattin vorbei. sich als herrscher eines auch kolonialen imperiums wähnend, das in den folgenden weltkriegen untergehen sollte.

nach dem 2. weltkrieg wurde die kirche aus den ruinen nur verkleinert wieder aufgebaut. heute führen die älteren ehrenamtlichen einen kleinen „eine welt laden“ im foyer, der leere der gottesdienste wird mit jazzkonzerten begegnet und berlinerinnen aus allen bezirken treffen sich hier zur chorprobe: 

der perfekte ort, um über botschaften nachzudenken, die hunderte von jahren überdauern sollen. über epistemologischen ungehorsam gegenüber dem kolonialen projekt europas. und wie gesellschaft und politik von guter sci-fi anti-dystopische inspirationen bekommen.

begleitet vom „electronic orchestra charlottenburg“ nimmt der chor seine eigene golden record auf an diesem abend kurz vorm advent im zweiten jahr der weltweiten pandemie.

Inputs von:

Detlev Möller : hat seine geschichtswissenschaftliche Doktorarbeit zur Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Bundesrepublik Deutschland 2009 veröffentlicht. Der Fokus lag auf administrativ-politischen Entscheidungsprozessen zwischen Wirtschaftlichkeit und Sicherheit sowie zwischen nationaler und internationaler Lösung. Ab 2010 hat er im Bundesamt für Strahlenschutz an Grundsatzfragen der Schriftgutverwaltung sowie der Digitalisierung von Altakten der Endlagerprojekte bzw. Endlager Gorleben, Konrad und Morsleben und ihrer inhaltlichen Erschließung gearbeitet. 2018 erfolgte der Wechsel zum Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) bzw. seinem Vorläufer. Seit Oktober 2018 leitet er das Fachgebiet F 5 «Langzeitdokumentation».

Leiter der Abteilung „Langzeitdokumentation“ beim Bundesamt für Strahlenschutz

Judith Albrecht : arbeitet an der Schnittstelle zwischen scientific work und einer engaged public anthropology. In ihrer Arbeit als visuelle Ethnografin und Sozialanthropologin erforscht und experimentiert sie mit den Grenzen visueller und more-than-textual Formen der Anthropologie. Das Ziel ihrer Arbeit ist es, nicht nur Inhalte für die akademische Welt zu produzieren, sondern Formate zu entwickeln, die akademische Diskurse in die Gesellschaft zurückbringen. Ihre Forschungen unternimmt sie u.a. in Tanzania, dem Iran, Libyen, den USA & Deutschland.

Isabella Herrmann : Referentin, Autorin und Kuratorin im Feld der Science-Fiction. Die promovierte Politikwissenschaftlerin beschäftigt sich mit der Frage, wie Science-Fiction und Technologievisionen gesellschaftspolitische Strukturen und Weltpolitik konstruieren und reflektieren. Sie ist außerdem Co-Direktorin des Berlin Sci-fi Filmfest.

EOC – Elektronisches Orchester Charlottenburg : beschäftigt sich mit der Improvisation und Interpretation elektroakustischer Musik. Dazu gehört das Zusammenspiel verschiedener elektronischer Instrumente und deren Verräumlichung in Echtzeit. Das EOC wurde im Rahmen eines Seminars der Audio Communication Group im Electronic Music Studio der Technischen Universität Berlin gegründet. Es bietet eine Plattform für die Entwicklung und Anwendung neuer Instrumente und Konzepte im Bereich der elektroakustischen Musik. Das EOC besteht aus einer Gruppe von elektronischen und/oder elektroakustischen Musikern und Programmierern. Sein Klang wird mit Hilfe von räumlichen Rendering-Techniken wie Ambisonics über Mehrkanalsysteme verteilt.